balance

Ruth Kaaserer &

balance ist eine Videoarbeit, die die Positionierung von Mädchen im öffentlichen Raum thematisiert. Die in Österreich lebenden Emigrantinnen Magda Karwat, Andrea Ozabalova und Ewa Rogal, sprechen über ihre Zukunft, d.h. über ihre Position in einer männlich konnotierten Welt. Über die gesellschaftlich normal gewordene Vergewaltigung, über die Talkshows, in denen das männliche Interesse dominiert, über die besondere Darstellung von Frauen in Film, TV und Werbung sowie den Zwängen, solchen Idealen nacheifern zu müssen. Gegen diese diskriminierende Welt stellen sie ihre - überraschend klassischen und naiven - Wünsche und Träume von der Liebe, der Freundschaft, der Treue. In ihren Gesprächen äußern sie Hoffnungen und Wünsche, die sich vor allem auf die Beendigung aller Kriege und der alltäglichen Diskriminierung konzentrieren. Mehr Ehrlichkeit, mehr Selbstständigkeit, die sich hauptsächlich über das Haus und die Arbeit äußert, und nicht zuletzt die Gleichstellung der Frau in der Geselslchaft - dies sind die Wünsche der drei Mädchen.

Die Videoaufnahmen sind ausschließlich an öffentlichen Orten Wiens gemacht worden, wobei als Hintergründe überwiegend moderne Randbezirke fungieren, die das typische Bild sozialer Trabantenstädte vermitteln, die großen Wohnblocks, versetzt mit öffentlichen Sport- und Freizeitanlagen, stehen für eine Bevölkerung, deren sozial niedriger Standard die Zentren der Großstädte nicht belasten soll. Die Mädchen zeichnet ein selbstbewusster Umgang mit dieser Art von Räumen aus, die sie für ihre sozialen Bedürfnisse nutzen. Durch die professionelle Bildgestaltung und Kameraführung erlangen die Stadtbilder eine zum Teil starke Ästhetisierung, die in den Gesprächen der Mädchen zusätzlich mit symbolischen Gehalten aufgeladen wird: zum Beispiel wenn Magda angesichts der kreisrunden, metalleingefassten, futuristischen Lichtschächte, auf denen sich die Sonne spiegelt, zu Andrea sagt: "... because then you think that everything there is all perfect."

Auch die Schlüsselszene von balance schöpft ihre Kraft aus der Metaphorik der Bildersprache. Sie zeigt Ewa über einen Schwebebalken auf einem Kinderspielplatz balancierend. Der Kommentar hierzu ist in seinem einfachen Symbolcharakter überdeutlich: "früher bin ich immer runtergefallen, aber jetzt kann ich gehen." Die Aufnahme ist bildlicher Ausdruck für den gesellschaftlichen Balanceakt, den die Mädchen zwischen ihren eigenen Wünschen und Träumen einerseits und der männlich konnotierten Umwelt andererseits vollziehen. Dass der Versuch einer Stabilität zwischen dem weiblichen Ich und der männlichen Umwelt immer nur ein schwer zu haltender Gleichgewichtsakt sein kann, zeigt das Video in den zwischengeschnitttenen Sequenzen, in denen das Coolness betonende Verhalten der Männer von jungen Mädchen und Frauen plakativ übernommen wird: hier vor allem aus dem Hip-Hop.

Ruth Kaaserer hat für balance eine Arbeitsweise gewählt, die sich durch den Raum charakterisiert, der den Mädchen eingestanden wird. Es ist ein freier bzw. freigehaltener Raum, der es ermöglicht, ihn in Gänze einzunehmen und mit der jeweiligen Persönlichkeit auszufüllen. Diese Freizone jenseits der Ökonomie der Zeit und des Ortes, die schon immer gesellschaftlich (d.h. maskulin) eingenommen ist, hat Ruth Kaaserer mit Gesprächsthemen gefüllt, die sie gemeinsam mit gleichaltrigen Freundinnen erarbeitet hat. In der Umsetzung mit Magda, Andrea und Ewa war es ihr wichtig, "... dass die Mädchen selber bestimmen konnten, wie viel sie in den Gesprächen von sich hergeben wollten. ... Es ist aber auch schon vorgekommen, dass ich eingegriffen und nachgefragt habe ..."

Ein weiteres Merkmal der Videoarbeit ist die Vermischung der Stilmittel eines Dokumentarfilms mit denen eines Spielfilms, bei dem die Sequenzen je nach Absicht des Regisseurs mehrfach nachgedreht werden, um schließlich aus dem angesammelten Material das Beste herausgreifen und neu kombinieren zu können. Die Auswahl der Drehorte fand in Absprache mit den Mädchen statt, denen auch die Möglichkeit gegeben wurde, sich im Gespräch mit den Freundinnen so darzustellen, wie sie sich in der jeweiligen Situation gerne gesehen haben.

Dem Stil des Versatzstücks, der die Arbeit von Ruth Kaaserer auszeichnet, entspricht auch die Zwischenschaltung der Hip-Hop-Lieder, die von der Sängerin Boo Thug und den Tänzerinnen Ghetto Black & Ghetto White vorgetragen werden. Die auf diese Weise eingebrachten Sequenzen untermalen nicht nur inhaltlich das Milieu, das die Umwelt der Mädchen darstellt. Sie stellen auch deutlich ihre Beziehung zum Musikvideo aus. Die an verschiedenen Genres geschulte Videoarbeit macht es durch ihre offene Struktur möglich, den alltäglichen Gesprächen von Magda, Andrea und Ewa eine Bedeutung (wieder-) zu geben, die in den Fernsehproduktionen, den Reportagen über die häufig verallgemeinernd gefasste Jugend von heute kein geeignetes Forum gefunden hätten. balance lehnt den vermeintlich investigativen und authentischen Dokumentarstil jener Rundfunkbeiträge ab, die an der Darstellung der heutigen Jugend vor allem drei Felder abarbeiten: keine Zukunft, Drogen und Gewalt.

Die widerständige Qualität von balance basiert dagegen auf dem kollaborativen Verhältnis zwischen der Regisseurin und den Darstellerinnen. Ähnlich wie bei Nasrin Tabatabai oder den Projekten von Anke Haarmann, interessiert hier insbesondere der Aspekt der auf Zusammenarbeit angelegten Dokumentation, in der das Medium - ganz oder teilweise - in den Dienst der Selbstrepräsentation der Dargestellten gesetzt wird. Dieser Prozess verfolgt keine Authentifizierungsstrategien, er verweist vielmehr darauf, dass jedwede Aussagen über Identität nur in Zusammenhang mit ihrem medialen Vermittlungsstatus möglich sind.

Über das Video

Titel balance
Jahr 2000
Videonale VIDEONALE.9
Länge 00:28:00
Format 4:3
Land Austria,
Sprache Deutsch mit englischen Untertiteln
Leihgabe Die Künstlerin und sixpackfilm
Spezifikation Farbe, Ton, Einkanalvideo

Über die Künstlerin

Ruth Kaaserer
  • 1972 in Kitzbühel, AUT.
    Studium an der Akademie der Bildenden Künste Wien, AUT
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