Landschaft

von Philipp Scheid und Johanna Hoberg

Was heißt und wie funktioniert ›Landschaft‹ in bewegten Bildern? Ist sie lediglich Naturkulisse oder liefert sie uns mitunter mehr als das pittoreske Setting eines Films? Sind Landschaften mithin selbst künstlerisch verhandelbar?

Berufen wir uns als Verständigungsgrundlage zunächst auf diejenige Definition von Landschaft, die der Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell vorgeschlagen hat: »Landscape is a medium in the fullest sense of the word. It is a material ›means‹ (to borrow Aristotle’s terminology) like language or paint, embedded in a tradition of cultural signification and communication, a body of symbolic forms capable of being invoked and reshaped to express meanings and values.«[1]

Landschaften sind also keine beliebigen Naturausschnitte, sondern bewusst gewählte und vom Künstler konstruierte Motive, die ihrerseits über eine Darstellungsgeschichte (Ikonografie) verfügen und als kulturelle Bedeutungsträger angesehen werden können. Als wesentlicher Unterschied zu den traditionellen Bildmedien Malerei und Druckgraphik ist Landschaft in Film und Video zunächst qua Aufnahmetechnik dazu in der Lage, äußere Bewegungsabläufe in der Natur – das Rauschen eines Wasserfalls, das Zittern des Laubes – aufzuzeichnen (Malerei und Graphik vermögen hingegen lediglich, Bewegung in der Natur anzudeuten). Dieses spezifische Vermögen kinematographischer Kunst hat schon früh zu theoretischen wie praktischen Diskursen Anlass gegeben und überdies zur Gattung des Naturfilms geführt. Im Zuge der Nobilitierungsversuche der Kinoreformer, die den Film als eigenständige Kunstform etablieren wollten, sah etwa der Dresdner Schriftsteller Hermann Häfker in den Naturfilmen das ideale Anschauungsmaterial für den entscheidenden Vorzug kinematographischer Kunst, die für ihn in einem »Alles-, Echt- und Lebendig-Malen« bestand. Damit war die Natur als filmisches Sujet zwar bereits angesprochen, aber als eigenständiges Thema noch weitgehend ausgeblendet. (Philipp Scheid)

Literatur:
[1]Mitchell, W. J. T.: Imperial Landscape, in: Ders. (Hg.): Landscape and Power. Chicago/London 2002, S. 14.

Landschaft in filmischen Arbeiten umspannt ein weites Feld: von der rahmenden Kulisse und dem
vorbeiziehenden Hintergrund über Seelenlandschaft bis hin zur Akteurin,[1] sodass von einem Genre „Landschaftsfilm“[2] im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden kann. Landschaft im Film ist daher eher als eine ästhetische Fragestellung zu sehen, die auch die emotionale, soziokulturelle, historische oder argumentative Ebene des Films stützt.

Die Darstellung von Landschaft ist stets ein Abbild, das durch die Augen des Betrachters ‒ aber auch durch das Auge der Kamera ‒, durch seine Wahrnehmung von räumlichen Beziehungen zwischen Körpern, seine Stimmung und seine persönliche Befindlichkeit gebildet wird. Landschaft ist ein „Erzeugnis des theoretischen Geistes“.[3]

Im Sinne der Cultural Landscape Studies umfasst sie all das, was den Menschen umgibt, sei es natürlichen gewachsen oder vom Menschen geschaffen.[4] Es handelt sich also nicht nur um Aufnahmen von Natur,[5] auch Stadtlandschaften [6] werden mit einbezogen. Die grundlegende Eigenschaft von Landschaft oder was eine Kamerafahrt vorbei an Häuserreihen und ein Panoramaschwenk über ein Bergrelief zu einer Landschaft im Film werden lässt, ist das Entstehen eines Raumes,[7] der eine Bedeutung in sich trägt und der im zweifachen Sinne erfahrbar ist: zum einen durch die Bewegung der Kamera und des Auge des Betrachters, zum anderen durch die Koppelung der subjektiven Erfahrungen des Betrachters an das Gesehene. Zugespitzt wird dies in filmischen Arbeiten, in denen Landschaft symbolisch als „Trägerin emotionaler Zustände oder auch als Indikator für den 'Entwicklungsstatus“ der ProtagonistInnen im Rahmen der Erzählung“ eingesetzt wird und sich somit zur „Seelenlandschaft“ wandelt.[8] (Johanna Hoberg)

Literatur:
[1] Dem entsprechend unterscheidet André Gardies in paysage-fond, paysage-exposant, paysage-contrepoint, paysage-expression, paysage-catalyse, paysage-drame, s. ders., Le paysage comme moment narratif, in: Jean Mottet (Hrsg.): Les paysages du cinéma, Seyssel 1999, S. 141ff.
[2] Britische Filmemacher haben sich in den 1970er Jahren für topografische Gegebenheiten als auch für die mit Landschaft verbundenen Elemente Licht, Wind, Wetter und Zeit interessierten („Landscape Films“), s. hierzu Barbara Pichler, Andrea Pollach: moving landsapes. Einführende Anmerkungen zu Landschaft und Film, in: Dies. (Hrsg.): moving landscapes. Landschaft und Film, Wien 2006, S. 28ff. und http://film.thedigitalfix.com/content/id/76316/john-woodman-landscape-films-1977-1982.html.
[3] Joachim Ritter: Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft [1963]“, in: Ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt am Main 1974, S. 145.
[4] Vgl. Brigitte Franzen, Stefanie Krebs: Cultural Landscape Studies, oder: Was ist Landschaftstheorie?, in: Ders.: Landschaftstheorie. Texte der Cultural Landscape Studies, Köln 2005, S. 7‒13.
[5] Die Begriffe "Landschaft" und "Natur" sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen, s. hierzu Volker Pantenburg: Ansichtssache. Natur Landschaft Film, in: Blicke auf Landschaften, Marburg 2005, S. 15‒24.
[6] Vgl. Guntram Vogt: „Durch die Augen sehen wir die Städte“. Stadtlandschaften in Filmen von Wim Wenders, in: Irmbert Schenk (Hrsg..): Dschungel Großstadt. Kino und Modernisierung, Marburg 1999, S. 162‒185.
[7] Zu “Landscape Space” und “ Peripatetic Space”, s. Kristina Trolle, Fred Truninger: Komplexe Landschaft. Die Landschaft als Raum und Wahrnehmung, in: Pichler/Pollach (Hrsg.): moving landscapes, S. 58ff.
[8] Barbara Pichler, Andrea Pollach: moving landscapes. Einführende Anmerkungen zu Landschaft und Film, in: ebd., S. 21f.
Image:
Cristina Picchi, Zima (Winter), 2013 © Cristina Picchi

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