Jättiläiset (Giants)
Zwei Frauen kämpfen am Strand. Sie ringen miteinander, zerren an den Kleidungsstücken und Haaren der Gegnerin und versuchen, sich gegenseitig in Haltegriffen matt zu setzen. Ihre Gesichter sind verzerrt. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn. Gepresste Atemgeräusche und lautes keuchen sind zu hören. Ihr Ringkampf wird von einer bewegten Kamera in leichter Untersicht aufgenommen, aus dieser Perspektive scheinen die Körper der kämpfenden Frauen eine geradezu monumentale Größe anzunehmen. Eigentlich ringen hier nur zwei gewöhnliche Menschen miteinander. Dennoch bekommt ihr Kamph durch seine dramatische filmische Darstellung die Aura des Heroischen. Vor der Kulisse des endlosen Meeres und des grau verhangenen Himmels wirkt ihr Kampf wie ein Wettstreit archaischer Gigantinnen.
In ihrem Video Giants greift Fanni Niemi-Junkola ein aus der Kunstgeschichte bekanntes Motiv auf: Den körperlichen Wettstreit der Heroen. Von der Renaissance an ist der Ringkampf zwischen athletischen Männern ein beliebtes Thema. Ob es Herkules ist, der mit dem Riesen Antaneus ringt (auf dem Stich eines Mantegna-Schülers um 1490 etwa), sich nackte Leiber im Kampf mit den Zentauren zu einem unentwirrbaren Knäuel aus angespannter Muskulatur verknoten (wie in Michelangelos Relief von 1492), oder im Streit der Seegötter (in einem Stich von Mantegna um 1485) das Meer selbst den ewigen Konflikt zwischen den Menschen hervorzubringen scheint: Stets wird in diesen Bildmotiven der Wettstreit unter Männern zum Kult erhoben. Auch die Moderne pflegt diesen Kult. Max Beckmanns Bild Rivalen (1908) zum Beispiel zeigt zwei Männer, die mit freiem Oberkörper am Meer vor einem grau verhangenen Himmel einen Ringkampf austragen. Die Literatur führt Beckmanns Motivwahl auf die Lektüre von Schopenhauer, Nietzsche, und Darwin zurück und deutet das Bild als Versinnbildlichung eines existentiellen Überlebenskampfs – unter Männern, versteht sich.
Weibliche Figuren spielen in diesen Kampfszenarien selten eine aktive Rolle – es sei denn als Anlass oder Preis des Streits. Zuweilen wird eine Sabinerin geraubt oder um eine Helena gekämpft. Einen Ringkampf rein unter Frauen wird man in dieser Tradition nur mit Mühe finden. Meist dient das Motiv des heroischen Wettstreits schlicht dazu, die gesellschaftliche Konkurrenz zwischen Männern als 'Kampf der Elemente' oder Ausdruck der vermeintlichen ehernen Gesetze einer rauhen Natur zu verherrlichen. Auch in den Bildmedien der Gegenwart wird die körperliche Auseinandersetzung zwischen Frauen (wenn überhaupt) kaum als heldenhaft dargestellt. Das hervorstechendste Beispiel in dieser Hinsicht ist vermutlich das Schlamm-Catchen: Hier werden zwar Frauen im Ring gezeigt, deren Kampf jedoch als Schlammschlacht der Selbsterniedrigung inszeniert wird, um den Voyeurismus des männlichen Publikums zu befriedigen.
Fanni Niemi-Junkola greift diese Bild-Konventionen auf und unterläuft sie gezielt. In Giants zieht sie alle Register der filmischen Inszenierung, um den Kampf der Frauen, den klassischen Vorlagen entsprechend, als dramatisches Ereignis darzustellen, indem sie das Meer als Hintergrund benutzt, erzeugt sie die Atmosphäre von einer wilden, ungezähmten Natur. Sie spielt mit der Aura des heroischen, aber ihre Darstellung bleibt frei von Ideologie. Der Kampf ihrer 'Giganten' hat keine klare Motivation, sein Ausgang ist nicht mythologisch vorbestimmt, auch versinnbildlicht er keine feststehende Moralvorstellung. Überraschenderweise gelingt es Fanni Niemi-Junkola also durch die Aneignung und Umdeutung eines konventionellen Bildmotivs eine Darstellung weiblicher Körperlichkeit zu schaffen, die jenseits aller gängigen Stereotypen liegt. (VIDEONALE.9 Katalog)
Über das Video
Über die Künstlerin
- 1962 in Tampere, FIN.
Studium an der Glasgow School of Art, Glasgow, GBR, und an der Turku School of Art, Turku, FIN