Screens und Architektur
von Lilian Haberer
Die offene Semantik des Screenbegriffs, welche sowohl Oberfläche wie auch Interface, Schutz oder Schirm umfasst und mit unterschiedlichen Funktionen der Bildreflexion von der Filterung über die Abschirmung bis hin zur Übermittlung respektive Übersetzung von analogen wie digitalen Bildinformationen[1] verbunden werden kann, ist den vielfältig eingesetzten Bildprojektionen im Ausstellungsraum zuträglich.
Denn was bei Tacita Dean das sich wandelnde Schattenspiel auf einer Fassade ist, die in ihrer schillernden Präsenz die unterschiedlichen Funktionen des Screens auf einer dargestellten Architektur ästhetisch und innerfilmisch aufgreift, übernimmt bei den Video- und Filminstallationen die rahmende Architektur, welche gleichsam Träger wie auch selbst Projektionsfläche für das Bewegtbild wird und eine Überblendung ‒ quasi einen Übergang zwischen Filmbild und Realraum ‒ herstellt. Das Plädoyer für einen auf architektonischen Räumen gegründeten Umgang mit filmischen Strukturen, der ebenfalls die dargestellte Architektur im Film umfasst,[2] kann auf den Ausstellungsraum erweitert werden. Sonach stellt die filmische Einstellung, welche mittels Kameratechnik und Schnitt ein Durchmessen und Aneignen des Raumes in der architektonischen Darstellung vornimmt, bereits eine Identifikation der Betrachter:innen her.
Mit Bildprojektion und Screen sowie architektonischen Bauteilen, die in der Ausstellung erfahrbar wie durchlaufbar werden, stellt sich zudem eine Erweiterung der Wahrnehmung ein. Mit dem Übergang zwischen Architekturdarstellungen im Film, Architekturen des Films[3] ‒ d. h. architektonischer Strukturen des Films selbst ‒ und der modellhaften Anordnung im Ausstellungsraum entsteht überdies ein neues, taktil wahrnehmbares Raumgefüge, das Bild und Architektur ineinander blendet. Mit der Verwendung temporärer Wände oder Screens, die als Raumteiler oder -staffelungen sichtbar werden, als Orte der Video- oder Filmprojektion, potenzieren sich die Übergangsphänomene zwischen „Raumbild“ und „Bildraum“.[4] Das Projizieren von Bildern auf skulpturale, architektonische oder bühnenhafte Trägermaterialien strukturiert den Raum jenseits einer Orientierung an Wandflächen und lädt zu einer Neuorientierung an mobilen und veränderbaren Elementen ein. Dieser Eindruck spitzt sich zu, wenn beispielsweise aus großformatigen Projektionsscreens selbst eine Architektur wird. Eine Variante stellen etwa drei Screens zu einer Bühne angeordnet dar, die in Analogie zum Theater die BetrachterInnen zur vierten Wand werden lassen, um die Raum- und Handlungsillusion zu komplettieren. Wenn Screenarchitekturen sich von der reinen Raumfläche lösen und als frei schwebende oder installierte Elemente in den Raum ausweiten, bilden sie Architekturen nach und ermöglichen zum Teil auch Zugang in eine architektonische Struktur aus fragmentierten Bewegtbildansichten.
Anders verhält es sich mit Ausstellungsgestaltungen, die unabhängig von den künstlerischen Arbeiten als verbindende Displays gestaltet sind und unter der Maßgabe einer leitenden Idee die Werke ästhetisch einbinden, so wie bei den einzelnen Festivals der Videonale mit jeweils wechselnden Architektenteams geschehen oder ebenfalls jüngst in der mehrteiligen Ausstellung The Big Picture I‒III (2011/12) im K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Diese bewahren eine Eigenständigkeit gegenüber den dort gezeigten Arbeiten, bilden oftmals eine Orientierung oder einen vereinheitlichenden Rahmen für die Rezeption und lassen sich als Gesamtphänomen wie auch als ästhetische Binnenraumgliederungen lesen, wobei die Mischformen zwischen künstlerisch selbstbestimmten Raumbedingungen und architektonischer Ausstellungskonzeption zahlreich sind. Dieser Strang einer Geschichte der Ausstellungsdisplays weist zurück bis in die Zeit der Museumsgründungen und erfährt vielfältige Ausprägungen. In der für die Videonale und gegenwärtige Ausstellungen maßgeblichen Entwicklung seien in diesem Zusammenhang vor allem Beispiele des 20. Jahrhunderts angeführt, exemplarisch die Exposition Internationale du Surréalisme in Paris (1938) und Peggy Guggenheims The Art of This Century (1942‒47).[5] (Lilian Haberer)