Perspektive #1: feministische Außenpolitik
Eine feministische Außenpolitik stellt, so einfach wie revolutionär, nicht wirtschaftliche und territoriale Interessen in den Mittelpunkt ihrer Handlungsmaximen, sondern die Interessen und Rechte aller Menschen.
Stand heute, 20. April 2022, bedarf es einiges an Optimismus, die Welt nicht als einen krisenhaften Ort zu beschreiben. Um sich nicht durch das krisenhafte Jetzt fortspülen zu lassen, hilft es mir persönlich, mich zum einen damit zu beschäftigen, wie es zu dieser Situation kommen konnte, irgendwie zu versuchen, das Jetzt zu verstehen, die Ereignisse zu rationalisieren – momentan grenzt das zugegeben regelmäßig an Überforderung. Und zum anderen und besonders, den Blick auf die möglichen Wege zu richten, die in Zukunft zu einer anderen, weniger krisenhaften Situation führen könnten. Die Rede von einer „feministischen Außenpolitik“, die derzeit − nicht zuletzt durch die Aufnahme in den Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung − in aller Munde ist, hat für mich eine Qualität, die beidem zuspielt, dem Verstehen und dem Aufzeigen von Alternativen gleichermaßen. Sie zeigt systemisch und historisch fundiert auf, wie die momentane Weltordnung die derzeit erlebten Krisen bedingt und immer weiter anheizt; und sie macht konkrete Vorschläge für alternative politische und gesellschaftliche Handlungsstrategien für eine friedlichere und gerechtere Welt. In ihrem Grundsatz geht feministische Außenpolitik davon aus, dass Frieden, Sicherheit und Wohlstand für alle nicht losgelöst von der Ungleichbehandlung der Geschlechter gedacht werden kann: „Die empirischen Analysen [aus 176 Ländern, Anm. der Autorin] […] zeigen eindrücklich, dass die Unterdrückung von Frauen unmittelbar mit dem Wohlergehen von Nationen zusammenhängt. Je stärker eine Gesellschaft Frauen missachtet und unterdrückt, desto massiver sind die negativen Folgen für die gesamte Gesellschaft: schlechtere Regierungsführung, schwerere Konflikte, weniger Stabilität, geringere Wirtschaftsleistung, weniger Ernährungssicherheit, schlechtere Gesundheit, verschärfte demografische Probleme, weniger Umweltschutz und sozialer Fortschritt.“* Dies bedeutet aber nicht, wie oft kolportiert, dass feministische Außenpolitik ihren Blick nur auf Frauen oder weiblich gelesene Menschen richtet, sondern sie bezieht grundsätzlich alle in ihr Denken und Handeln mit ein, die von Benachteiligung, Diskriminierung oder Gewalt betroffen sind – und das bezieht Kinder und Alte genauso mit ein wie Arme und Kranke, Menschen mit Behinderung, Geflüchtete oder durch Rassismus und Homophobie bedrohte Menschen. Eine feministische Außenpolitik stellt, so einfach wie revolutionär, nicht wirtschaftliche und territoriale Interessen in den Mittelpunkt ihrer Handlungsmaximen, sondern die Interessen und Rechte aller Menschen.
Wer sich eingehender mit den konkreten Zielen und Werten der feministischen Außenpolitik beschäftigen möchte, findet hier mehr Informationen:
Centre for Feminist Foreign Policy
Women's International League for Peace and Freedom
PeaceLab-Blog
In den für das erste „Perspektiven“-Programm ausgewählten Werken kommen Menschen zur Sprache, deren Stimmen in einer feministisch gedachten Welt, sicher anders gehört und integriert würden. Gleichzeitig erzählen diese Werke aber auch von den vielen Formen der Solidarität, die heute schon gelebt und erfahren werden. Maryam Tafakory beschreibt in زخم (Absent Wound) die strikte Trennung von männlich und weiblich besetzten Räumen und Körpern im Iran und die Konsequenz dieser Dominanzstrukturen. Wie könnte eine Emanzipation von diesen Strukturen aussehen; wie würde man den Wechsel von einer weiblich gelesenen Rollenbeschreibung in eine männliche vollziehen: Birds of my weakness von Úna Quigley imaginiert diesen Prozess in performativen Bildern. Die Befreiung aus kolonialen Machtstrukturen und der Unterdrückung schwarzer Körper feiert die schwarze Community auf den Bahamas im Rahmen des dortigen Karnevals Junkanoo: Rhea Storr zeigt diesen jährlichen zelebrierten politischen wie solidarischen Akt in Here is the Imagination of the Black Radical. Welchen Wert habe ich für die Gesellschaft und lässt sich dieser Wert allein durch meine Arbeitskraft bemessen? Und was bedeutet das überhaupt, Arbeit? Straßenverkäufer:innen der Zeitung Apropos finden ihre eigenen Antworten auf diese Fragen in Moira Zoitls Außer Sichtweite - ganz nah (Out of Sight – Close Up). Was sind die Wünsche, Träume, Ängste derer, die mit ihren Körpern, ihrem Begehren nicht der normativen Sicht entsprechen und wie schaffen sie sich ihre eigenen sicheren, freien Räume: Maryna Makarenko nimmt uns in Jellyfish mit auf eine Reise in die Gemeinschaft fluider Körper.
Viel Spaß beim Perspektivwechsel!
Zur Person
Tasja Langenbach ist freie Kuratorin und seit 2012 künstlerische Leiterin der Videonale.