Perspektive #7: Verbinden/Trennen in anderen Worten

Eine Perspektive auf die Ausstellung der VIDEONALE.19

Was ist das Auffälligste an diesen Arbeiten? Die Anwesenheit und Abwesenheit von Worten und das, was mit ihnen im Prozess der Übersetzung passiert, wenn wir sie als nicht muttersprachliche Personen, die mit mindestens einer der Sprachen nicht vertraut ist, anschauen. Es ist eine besondere Erfahrung, Untertitel bei der Betrachtung eines Werks zu lesen. Bei zweizeiligen Untertiteln, von denen die Buchstaben der einen Zeile dem Zuschauer oder der Zuschauerin unbekannt sind, stehen das visuelle Erscheinungsbild und die mitgeteilte Bedeutung im Widerstreit.

Bei Tugging Diary führt die Geschwindigkeit der vorbeiziehenden Worte und Bilder dazu, dass wir die Stimmung der Straßenproteste nachempfinden, indem wir uns den Überresten der an den Mauern ausgetragenen Kämpfen aussetzen, während sie entstellt oder entfernt werden. Bei Trust Studies #1 konfrontieren uns die präzisen Pausen bei der Wiedergabe eines Gesprächs über ein Tabuthema und die Erkenntnis darüber, warum diese Arbeit stumm ist, mit Metaebenen, die wie Nachbilder zurückbleiben. Diese Arbeiten verdienen es oftmals, mehr als einmal betrachtet zu werden, damit sie ihre poetischen Qualitäten jenseits des Verständnisses des textlichen Inhalts entfalten können. Die in diesen Werken verborgene Gewalt wird auf unterschiedliche Weise offengelegt, durch Worte, Karten, Modelle und Reenactments, durch das Wiederverwenden gefundener Bewegtbilder oder, wie im Falle von Trust Studies #1, von Reiseführern, die einst erstellt wurden, um für einen verlorenen Moment der Zeit zu werben.

In Flow of Words und Buurman Abdi (Neighbour Abdi) spielen Gegenstände und Geräusche eine zentrale Rolle, doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Der Prozess des Zuhörens und der Reflektion verleiht den beiden Arbeiten einen emanzipatorischen Impuls, ein Gefühl der Hoffnung, während wir Zeugen der Verstörung und der manchmal generationenübergreifenden Auswirkungen von Gewalt werden. Die Last, die diese Menschen tragen und die Brutalität, die sie aushalten mussten, dringt in die Sprache und Übersetzungen ein: Die Aussagen von entfernten Zeug:innen und das, was sich in den Gedanken der Träger:innen/Übersetzer:innen von Beweismaterialien niederschlägt, driften auseinander. Die Herausforderung liegt darin, die eingebetteten Codes durch Empathie und Trauer zu entziffern oder auf spielerische Weise mit ihnen umzugehen.

Am anderen Ende des Spektrums stürzt The Mad Man’s Laughter mit seiner Dauer und seinen meisterhaften Arrangements die Zuschauer:innen in einen Abgrund von Bildern, die erzeugt wurden, um sowohl Angst zu verbreiten als auch Mechanismen zu etablieren, die „den Anderen“ entstehen lassen; denn der Feind wird als Zutat benötigt, um die Hoffnung auf den Sieg und das falsche Gefühl von Wohlstand zu nähren. (Fehl)Übersetzungen offenbaren sich durch künstliche Intelligenz und im Verlauf der gesamten Geschichte von Hassan Sabbah in der berüchtigten Alamut Zitadelle.

Während wir uns auf dem Höhepunkt eines anderen, nicht-so-Kalten Krieges befinden, beleuchtet die Auswahl gegenwärtige und wiederkehrende Vorkommnisse aus verschiedenen Blickwinkeln.

Amirali Ghasemi



Es wird vorgeschlagen, die Auswahl in folgender Reihenfolge zu betrachten:

Eliane Esther Bots | In Flow of Words
Shobun Baile | Trust Study #1
Yan Wai Yin | Tugging Diary
Alaa Mansour | المجنون الضاحك (The Mad Man's Laughter)
Douwe Dijkstra | Buurman Abdi (Neighbour Abdi)


*Diese Perspektive wurde für die Ausstellung zur VIDEONALE.19 im Kunstmuseum Bonn kuratiert. Da nicht alle für diese Perspektive ausgewählten Werke im Online-Archiv gezeigt werden dürfen, kann das Programm hier leider nur unvollständig gesichtet werden.



Zur Person

Amirali Ghasemi ist Kurator, Medienkünstler und Grafikdesigner. Er ist der Gründer von Parkingallery, einem unabhängigen Projektraum in Teheran, sowie dessen Online-Plattform für junge iranische Künstler. Ghasemi hat seine Fotografien, Videos und Designarbeiten international ausgestellt.

Image Credit: YAN Wai Yin, 日 ''''''';''''''' 記 (Tugging Diary), 2021 © YAN Wai Yin

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