Perspektive #6: Audio/Vision
Eine Perspektive auf die Ausstellung der VIDEONALE.19
Das Kino ist nie stumm gewesen. Der Ausdruck Stummfilm für frühe Kinofilme trifft es nicht wirklich, denn diese Filme wurden fast immer von Live-Musik und manchmal sogar von der Stimme eines Erzählers begleitet. Der Ton wird oft als etwas betrachtet, das den Bewegtbildern hinzugefügt wird, doch er ist mehr – der Sound, die Musik und die Stimme im Film verwandeln unsere Erfahrung, modifizieren und verändern unsere Wahrnehmung. Diese Perspektive auf die Ausstellung der VIDEONALE.19 lädt die Betrachter:innen ein, genau zuzuhören und den Klängen und Vibrationen ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken wie dem bewegten Bild.
Descartes (Outtakes) von Alejandro Alvarado & Concha Barquero widmet sich dem Dokumentarfilm Rocío, der in den frühen 1980er Jahren in Spanien zensiert wurde. Obwohl die ursprünglichen Tonspuren dieser Outtakes verloren sind, ist Descartes nicht stumm. Die Klangtextur evoziert die Materialität der Filmspulen und das Geräusch eines Filmprojektors, die neben den vorgetragenen Gerichtsdokumenten und anderen Texten zu hören sind. Das musikalische Thema am Ende ist eine Komposition von Paloma Peñarrubia.
In DOOM, bei dem Layton Lachman Regie führte und für die Choreografie verantwortlich zeichnete, treten wir mit Samuel Hertz‘ Komposition eine Reise an, ausgehend vom zeitgenössischen Raumzeit des Clubs, begleitet von dröhnenden, verzerrten Metal-Gitarren. Extrem lauter Sound führt uns in Klanglandschaften jenseits des Menschlichen, vom Knacken brechender Eisberge zu den Bewegungen tektonischer Platten in tiefenzeitlichen Dimensionen.
In Alisi Telenguts The Fourfold wird die multisensorische Erfahrung der Animation durch Kehlkopfgesang und das traditionelle Musikinstrument Morin Khuur, auch als Pferdekopfgeige bekannt, akzentuiert. Die Klänge verschmelzen mit dem Rhythmus der Animation und erinnern an Bergformationen, Ozeanwellen, schwankende Bäume und sogar Gehirnwellen. Das Stück wird gespielt von der tuwinischen Musikgruppe Huun-Huur-Tu und The Bulgarian Voices Angelite.
In Ghost Light von Timoteus Anggawan Kusno fügt der Sound der Tanzperformance eine weitere Bedeutungsebene hinzu, die sich um Vorstellungen von Monumenten, Geistern und der Abwesenheit von Licht dreht. Durch das Zusammenspiel von Bild und Ton erleben wir zwei simultane Performances: den abstrakten Fluss von Bewegung und den Prozess des Herstellens von Geräuschen.
Kris Dittel
Wenn Sie diese Perspektive erleben wollen, schauen Sie sich folgende Werke in der Reihenfolge Ihrer Wahl an:
Timoteus Anggawan Kusno | Ghost Light
Alisi Telengut | The Fourfold
Layton Lachman | DOOM
Alejandro Alvarado & Concha Barquero | Descartes (Outtakes)
*Diese Perspektive wurde für die Ausstellung zur VIDEONALE.19 im Kunstmuseum Bonn kuratiert. Da nicht alle für diese Perspektive ausgewählten Werke im Online-Archiv gezeigt werden dürfen, kann das Programm hier leider nur unvollständig gesichtet werden.
Zur Person
Kris Dittel ist Kuratorin, Redakteurin und Autorin. Durch ihren Hintergrund in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften spiegelt ihre kuratorische Praxis den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontext ihrer Arbeit wider. Ihre langfristigen Forschungsprojekte werden in Form von Ausstellungen, Performances, Publikationen, Vorträgen, öffentlichen Veranstaltungen umgesetzt.